22.05.10

Die potentiell tödlichste Kampfkunst

Neulich, kurz vor der Übung, habe ich mich mit einem älteren Herrn unterhalten, dessen Tochter Kung Fu-Unterricht nimmt. Als wir auf unterschiedliche Konzepte innerhalb der ausgeübten Künste kamen, sagte er:"Kung Fu ist die potentiell tödlichste Kampfkunst auf der Welt." Jede weitere Diskussion war darauf hin leider ohne jegliches Ergebnis.

Natürlich ist jede Kampfkunst potentiell tödlich, besonders (und gerade) für jemanden, der darin ungeübt ist. Darin unterscheidet sich keine Kunst von der anderen. Lethale Schläge und Tritte im Kung Fu bergen ein genauso enormes destruktives Potential wie ein Wurf im Aikido oder Judo oder ein Schnitt im Iai. Besonders die waffenlosen Künste sind ja nicht nur auf Immobilisierungstechniken beschränkt. Wenn jemand fällt, ohne lange Zeit ukemi geübt zu haben, wird er sich, je nach Untergrund, mit großer Wahrscheinlichkeit mehrere Knochenbrüche zuziehen, bei Stürzen auf den Rücken kann eine Querschnittslähmung oder der Tod nicht ausgeschlossen werden. Und in der Übung im Dojo ist die Vorbildung der einzelnen Schüler so detailliert, daß Verletzungen ausgeschlossen sind. Passiert doch etwas, ist es nicht auf die Kunst zu schieben, sondern auf die Unachtsamkeit der Schüler oder auch des Lehrers. Von Morihei Ueshiba Osensei wird erzählt, daß in einem seiner Dojo einmal ein Schüler zu Tode kam. Er war darüber sehr aufgebracht, denn das sei letztendlich nicht das Ziel der Kampfkunst. In den klassischen Künsten soll Leben bewahrt, nicht zerstört werden.

In einem anderen Gespräch ein paar Tage später, erzählte mir ein junger Mann, er hätte im Fernsehen eine ganz tolle Sendung gesehen, in der die Techniken verschiedenster "Meister" gemessen wurden, um festzustellen, wer denn den härtesten, schnellsten Schlag oder Tritt ausführen könne. Was soll so eine Sendung? Mäßig begabte Kampfkunstaspiranten könnten so etwas zum Anlaß nehmen, jedes Teil zu übernehmen und daraus die "potentiell tödlichste" (effektivste) Kampfkunst zu stricken. Das ist nicht der Inhalt der klassischen Künste. So etwas führt zu militärisch eingesetzten "Systemen" wie Krav Maga oder Sambo. Aber welchen Sinn hat so etwas außerhalb des Militärs? Letztendlich führt so etwas zu einer destruktiven Charakterbildung der Schüler, denn der Ansatz führt ausschließlich zu vernichten.

Natürlich: wenn ich als allerletzte (und nicht als allererste) Zuflucht den Weg in die Kampfkunsttechnik nehmen muß, weiß zumindest ich, wie das Ende sein wird. Aber wie schon gesagt: das ist nicht der Sinn! Als wacher Geist erkenne ich schon vorher eine ganze Reihe anderer Möglichkeiten, der Konfrontation den Zündstoff zu nehmen. Ich habe es in der Hand, meinen Charakter entscheiden zu lassen.

1 Kommentar:

Sven hat gesagt…

Interessanter Beitrag. Ähnliche Aussagen lassen sich von vielen Karate-Meistern lesen. Danke!

Gruß

Dirk