09.07.07

"Abteilung zur Vollkommenen Erleuchtung, vierter Stock"

Ich bin oft etwas ratlos, wenn ich sehe oder lese, daß Kampfkunst von vielen Praktizierenden nahezu ausschließlich über Techniken definiert oder verstanden wird. Da werden Griffe und Hebel gepaukt, Fauststösse und Schnitttechniken analysiert. Das dabei aber die Essenz der Kampfkunst ausgeblendet wird, wird im Zuge des dienstbeflissenen Auswendiglernens gerne übersehen.

Eines der wichtigsten Instrumente eines Kampfkünstlers ist sein Ego. Genau wie sein Schwert, daß ja (wie alle gerne und vollmundig wiederholen) den Zenit der Meisterschaft darin wiederspiegelt, nicht gezogen werden zu müssen, so sollte das Ego nicht in den Vordergrund gebracht werden. Aber in mindestens 99% aller Fälle im dojo ist das nicht der Fall.

Eher wird alles daran gesetzt, das eigene Ego aufzupolieren, in dem sich der Übende Technik um Technik aneignet und damit ein reichhaltiges Arsenal an "Verteidigungstechniken" parat zu haben. Und wenn das nicht reicht, wird noch eine zweite Kunst erwählt, oder eine dritte, oder...und wofür? Um für den "Fall der Fälle" gerüstet zu sein? Wenn wir alle einmal ganz ehrlich zu uns selbst sind, dann tritt dieser Fall genau dann ein, wenn wir daran mitwirken; oder es passiert nie.

Einige Kampfkünstler setzen ihre Übung so ein, um den Einfluss ihres Egos auf das tägliche Tun zu beherrschen, da sie wissen (oder ahnen), daß der Schlüssel zur Kampfkunst darin zu finden ist. Sie sind weise genug einzusehen, daß ihre Umgebung eine Spiegelung ihrer selbst ist, und somit ist die Beherrschung des Ego eine vortreffliche Verteidigung.

Eine schöne Metapher für jede Kampfkunst ist ein mehrstöckiges Haus ohne Keller mit Dachterasse. Wenn wir das Haus betreten, befinden wir uns im Erdgeschoß, wo Grundlagen und erste Techniken gepaukt werden. Das ist das niedrigste Level. Die Türen und Aufgänge zu der nächsten Etage sind nicht direkt sichtbar, sie eröffnen sich erst im Laufe der Übung. In der nächsten Etage wird zwar auch Technik gelehrt und gelernt, aber der Bezug hat sich geändert. Je höher man im Haus die Treppen steigt, desto mehr entfernt man sich von der reinen Technik und nähert sich der Dachterasse. Wenn man viel Zeit seines Lebens investiert, dann kann man das Glück, die Dachterasse betreten zu dürfen, erlangen. Und an diesem schönen Ort wird ihnen spätestens bewußt, das die unteren Etagen nur der Vorbereitung dienen und die Techniken aus dem untersten Level hier oben nicht mehr zählen. Hier hat man den Überblick über alles und die Dinge, die unten wichtig erschienen, sind hier oben lächerlich klein. (Danke Reinhard! ;) )

Die meisten der Kampfkünstler, die ich kenne, dürfen ab und an durch einen kleinen Spalt lugen und einen kurzen Ausblick auf das erahnen, was auch sie lernen könnten; und das nur, wenn einer der Bewohner aus den höheren Etagen zu den Grundlagen und reinen Techniken zurück kehrt. Aber leider sehen die meisten die Türen nicht, die zum nächsten Level führen, weil sie ihr Ego immer noch mit Techniken befriedigen müssen. Sie sehen immer nur einen kleinen Teil, aber nie das gesamte Bild.

Von denen, die sofort nach Betreten des Hauses den Fahrstuhl nach oben suchen, möchte ich hier gar nicht sprechen. Erst einmal gibt es keinen leichten Weg, und der beschwerliche Weg über die Treppe ist noch immer der Richtige. Aber ohne Tür...

Keine Kommentare: