28.06.08

Haltungsschäden

Eine ganz großartige Sache an der Kampfkunst ist, daß man selbst dann, wenn man seine Jugendzeit hinter sich gebracht hat, seine angelernte miserable Körperhaltung so zu verbessern, daß sich Wehwehchen wie zum Beispiel die weit verbreiteten Rückenschmerzen auf ein Minimum reduzieren lassen. Ich habe ja selbst Probleme mit einem zu kurzen rechten Bein und einem daraus resultierenden Hüftschiefstand, der früher enorme Auswirkungen bis auf den Schulter-/Nackenbereich hatte. Wie gesagt: früher. Heute geht es mir nach gut zehn Jahren auf der Matte sehr viel besser. Ich bin mir sicher, daß nur intensiver Ballettunterricht oder der regelmäßige Ritt auf einem Pferd einen ähnlichen Effekt gehabt hätte. Nun sehe ich aber in knallengen Tanzhöschen sicherlich dämlich aus (vom Tutu fange ich gar nicht erst an) und das "Horsemanship" beherrsche ich in Grundzügen, aber es ist nicht das, was mich tatsächlich anmacht. In der Übung der Kampfkünste lernt man recht schnell, wie man "ordentlich" steht, sitzt oder läuft. Seitdem überprüfe ich mehrfach täglich, ob ich gerade stehe, ob meine Schultern nicht nach vorne gesackt sind und das Brustbein nicht eingesunken ist und natürlich ob mein Gewicht auf den Ballen meiner Füße lastet und daß die Knie nicht durchgedrückt sind.

Leider ist das tägliche Leben eines durchschnittlichen Mitteleuropäers wie mir angefüllt mit Versuchungen, sich hängen zu lassen. Und natürlich erliege ich ihnen oft, meist vollkommen unbedacht, manchmal aber auch wohlwissend, das dies eine charakterliche Schwäche meinerseits ist. Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung, oder?

Während sich der körperliche Haltungsschaden recht einfach und effektiv zum Besseren wenden lässt, wird den geistigen Haltungsschäden oftmals wenig Beachtung geschenkt. Ich rede hier nicht davon, daß einige unserer Zeitgenossen psychisch in einem instabilen Zustand seien - das ist nicht meine Baustelle und liegt eher den Fachleuten, nicht mir - ich meine die geistige Haltung zur Kampfkunst und allem, was sie mit sich bringt.

Im Laufe der Zeit ist ein Kampfkünstler gezwungen, eine Entscheidung zu treffen: nehme ich die Kampfkunst mit allem gebührenden Respekt als das, was sie ist, an oder lasse ich es bleiben? Im Grunde ist es wie bei der Wahl des Lebenspartners: entweder nehme ich ihn ganz mit allen Eigenheiten, die nicht nur Vorzüge sind; falls ich ihn so nicht akzeptieren kann, hat eine Beziehung keinen Wert und ist zum Scheitern verurteilt. Ich kann nun einmal nicht nur das bekommen, was mir Spaß macht, ich nehme auch das, was mühselig ist.

Interessanterweise scheinen viele meiner Zeitgenossen den Ernst ihrer Entscheidung nicht wahrzunehmen. Kampfkunst wird von der breiten Masse als Techniksammelsurium mit Wettkampftauglichkeit angesehen. Dinge, die mühselig oder auch gefährlich sind, weil sie mit Selbstreflexion oder Wahrnehmung des eigenen Einflusses auf die unmittelbare Umgebung zu tun haben, werden gerne ausgeblendet. Zwar wird gerne einmal vom Verbessern der eigenen Persönlichkeit oder noch schlimmer "irgendwas mit zen" gefaselt, aber so richtig daran arbeiten möchte kaum einer. Viele Verbände und Schulen gleichen da eher einem Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf dem es um Graduierungen, Posten, Wettbewerbsurkunden, Pokale oder der beeindruckenden Beherrschung der 198 kata der XY-ryu geht. Dabei treten Historie und Philosophie der Schule in den Hintergrund, das Andenken an Lehrer und Begründer wird quasi mit Füßen getreten und ganze Kampfkunstzweige werden so weit "europäisiert", daß sie eher einer Karikatur als dem bewahrungswürdigen Original gleichen.

Kampfkunst ist nichts, womit man herumspielt. Kampfkunst ist auch kein Sport.

Kampfkunst ist eine Anleitung zum Leben.

Kampfkunst ist kata und kumite; Kampfkunst ist Wettkampf. Kampfkunst ist aber auch Prüfung, Lehren und Lernen; sie ist Philosophie und praktische Anleitung sowohl zum Leben nehmen als auch zum Leben geben. Kampfkunst ist nicht nur ein Teil - sie ist ein Gesamtes.

Es gibt keine Möglichkeit, es anders zu sehen.

Leider ist es wegen der weit verbreiteten Arroganz nicht oder nur sehr schwer möglich, solche geistigen Haltungsschäden zu korrigieren. Viele nehmen das als nicht entschuldbaren Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte wahr. Dabei ist das, was sie der Kampfkunst antun, nicht entschuldbar. Ich hege allerdings immer noch die Hoffnung, daß sich daran etwas ändern wird.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ja... die Hoffnung stirbt zuletzt!