06.07.08

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

oder: Klage eines Iaidoka

von Ulrich Kobbé

gasshou 合掌!

Wenngleich diese förmliche Anrede ungewöhnlich oder befremdlich sein mag, so ist sie zugleich Hinweis auf den Tenor dieses Beitrags: Sie erweist dem Leser die Referenz des – ursprünglich vom Zen kommenden – Verfassers. Und sie gibt zugleich an, vor welchem Hintergrund dieser in Briefform gehaltene Beitrag entsteht: vor dem einer Art ‚Doppelzugehörigkeit’ zu den Übungswegen des Zen und des Iaido.

Entstanden sind die hier öffentlich gemachten Überlegungen im Laufe einer Reihe von Monaten, in denen ich anderen Iaidoka zugehört, das Seminargeschehen mitverfolgt, das Iaido-Journal gelesen habe und auf einen zunehmend bemerkbaren Zwiespalt aufmerksam wurde.Fangen wir mit Beispielen aus dem Journal an:

* Da erscheinen in der Oktoberausgabe 10/2006 auf Seite 17 Zitate aus Prüfungsantworten als so genannte „Stiehlblüten“ und der Schreiber – immerhin Komitee-Mitglied und Sensei, 6. Dan Iaido – bezeichnet diese, „natürlich ohne jemanden zu diskreditieren“, als „lustig“. Dass sich ein Iaidoka in einer Prüfung mitunter ungeschickt ausdrückt, ist nur allzu menschlich – dass ein Lehrer und Prüfer sich darüber auf diese Weise darüber erhebt, sollte nach seinem Selbstverständnis im Lehrer/Schüler-Verhältnis fragen lassen: War es nicht so, dass das Unvermögen des Schülers – bestmögliches Bemühen vorausgesetzt – auf den Lehrer zurückfällt? Ist es nicht so, dass die Überheblichkeit des einen die Entwertung des anderen beinhaltet?

* Und im selben peinlichen – ja, Pein (= Schmerz) verursachenden – Iaido-Journal stellt sich auf Seite 23 ein Verein mit dem Motto ‚Nicht Ritzen, sondern SCHLITZEN!!!!!!!!!!!!’ vor … und enthüllt dabei mehr, als der Verfasser, 4. Dan Iaido, ahnt: Wenn denn die elf Ausrufungszeiten in ihrer unbescheidenen Selbstbejahung nur Symptom sein dürften, verweist die unreflektierte ‚Hau-drauf-Mentalität’ eines Dojo, der zudem damit wirbt, „bei Feiern einfach die lauteste und witzigste Gruppe“ zu sein, auf mehr als nur ein Problem.

Allein diese beiden Beispiele werfen Fragen auf nach dem Selbstverständnis der im DIaiB organisierten Iaidoka, nach der Funktion von Komitee und Sensei, nach der Bedeutung der Dan-Graduierungen – und nach der fehlenden Auseinandersetzung darüber.

Nach wie vor gehe ich davon aus, dass Iaido eine Budo-Disziplin ist. Wenngleich die Bezeichnung ‚Disziplin’ bereits auf die dabei geforderte Selbstdisziplinierung der diesen Schwertweg Übenden hinweist, scheinen sich die Koordinaten der Leitidee dieses Übens verschoben zu haben: Könnte es sein, dass Wettkampf (Euro-Taikai, Deutsche Meisterschaft) und Kampfsport mittlerweile einen so zentralen Platz im Verband einnehmen, dass die Ideale des budo – als geistiger Weg einer Kampfkunst – dabei komplett in den Hintergrund verdrängt wurden und werden? Wer primär um erste Plätze, um Siegerehrung, um Beachtung, um Selbstbeweis kämpft, betreibt Iaido eher als einen Wettbewerbs- und Kampfsport – Kampfkunst hingegen ist etwas, das Möglichkeiten der Selbstfindung, der Selbsterkenntnis, der Vervollkommnung geistig-seelischer Fähigkeit, der Persönlichkeitsentwicklung enthält. In diesem Sinne ginge es um eine Schwertarbeit mit den Aspekten der Verwirklichung einer ethischen Haltung, der achtsamen Selbstveränderung, des entschlossenen Strebens nach Wahrheit, des prinzipiellen Gewaltverzichts.

Bei Durchsicht der Lehrgangsprogramme scheint mir, dass diese spirituellen Voraussetzungen der Kampfkunst ‚Iaido’ – bis auf höchst vereinzelte budo-pädagogische Ausnahmen – im DIaiB nicht (mehr) als zentrale Werte geachtet, geschweige denn vermittelt werden. Dies könnte als eine neue Akzentuierung verstanden werden, als Geschmacksfrage, Variante oder Neuerung, doch verkommt Iaido ohne Budo-Fundament zu etwas gänzlich Anderem, das zwar noch diesen Namen als leere Worthülse führt, jedoch nur noch ‚geistlose’ Schwert- und Kampftechnik zu sein vermag. Im Sinne traditioneller Budo-Kampfkunst machte dies den Unterschied aus zwischen uchi-deshi 内弟子, dem inneren Schüler, der den spirituellen Weg der Schwertarbeit geht, und soto-deshi 外弟子, dem ‚äußeren’ Schüler, der keinen Zugang zur inneren Lehre hat und nur an technischem Können interessiert ist.

Ob der einzelne Iaidoka dies oder jenes will, muss ihm selbst überlassen bleiben. Doch müssen sich das Komitee und die hochgraduierten Iaidoka in ihrer Funktion als – potentielle – Vorbilder und Sensei fragen lassen, wie sie sich diesen Fragen stellen. Wenn der Lernweg des shitei, die Lehrer/Schüler-Beziehung, von Prinzipien des giri 義理, Pflichtgefühl / rechte Haltung, des nesshin 熱心, eifriges Streben, und des jitoku 自得, Selbstvorteil durch Selbstlernen, geprägt sein bzw. dies möglich machen soll, dann stellt dieses Ideal hohe Anforderungen an die Person des Lehrers. Im Ernst setzte dies ggf. voraus, sich konsequenter an den durch Soejima Sensei fortgeführten Prinzipien von Sagawa Sensei auszurichten, da sonst die Sonderausgabe des Iaido-Journals oder die embukai 演武会für Sagawa Sensei ebenso zu Schein und Äußerlichkeiten gerieten, wie es fraglich auch der Abdruck des tenugui 手拭いvon Soejima Sensei im Aprilheft 11/2007, Seite 5, wäre: Dessen Hinweis auf den gebotenen ‚Anfänger-Geist’ ist sicher nicht lediglich routinierte Wiederholung eines Prinzips der Zen-Praxis – er könnte als eine mahnende Erinnerung, ja, vielleicht auch als ein Verweis des Sensei verstanden werden, sich diese geistigen Grundlagen des Iaido erneut zu vergegenwärtigen…

Ich selbst habe, wie die Angaben im Kopf dieses Beitrags ausweisen, weder Kyu- noch Dan-Grad. Dies aus gutem Grund: Graduierungen fungieren als Voraussetzung zu okuden 奥傳, zur Vertiefung der inneren Haltung im Üben der Form, wie ein Sieb, wie ein Test des sichtbar werdenden Potentials. Doch als institutionalisierter Wertmaßstab des (technischen) Könnens laufen diese Graduierungen Gefahr, Selbstzweck zu werden, nur noch dem Verband zu dienen und den Übenden illusionär verkennen zu lassen, die Meisterschaft des Budo und/oder des Iaido liege im Wert beurkundeter Dan-Grade oder gewonnener Wettkämpfe. Dies ist sicher nicht der ‚rechte Weg’, denn ‚Meisterschaft’ beweist sich letztlich selbst. Seinen Weg muss der Übende selbst entscheiden. Für mich beinhaltet, keinerlei Graduierung zu haben, das Wesen des shoshin 初心, des ‚Anfänger-Geistes’: Er ist rein, einfach, leer. – Was die Übungsleiter / Lehrer des Iaido jedoch betrifft, so setzt deren Status einerseits voraus, dass sie als Weglehrer diesen inneren Kampf um mehr als nur technische Perfektion auch ‚leben’ (müssten), dass sie sich andererseits aber auch gewahr sein sollten, sich nicht selbst zum Lehrer (eigentlich: sensei 先生= Meister) ernennen, sondern nur von einem Schüler dazu gewählt werden – und diese Wahl annehmen / ablehnen – zu können.

Schluss und Schlussfolgerung dieser Klageschrift lauten mit aller Bescheidenheit eines Iaido-Schülers, dass der DIaiB in seiner Verbandspolitik (auf-)gefordert ist, sich des Zen-Leitmotivs von Soejima Sensei zu erinnern, d. h. sich keiko 稽古, der Übung des Budo, zu entsinnen und „nicht (zu) vergessen, wie bescheiden und mit welcher ernsthaften Absicht man begonnen hat“.

In diesem Sinne – gasshou 合掌,
Ulrich Kobbé

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Zur Person:

Dr. Ulrich Kobbé ist u. a promovierter Psychologe, psychoanalytischer Psychotherapeut und Dozent an der Ruhr Campus Academy der Universität Duisburg-Essen. Mit weiteren Wissenschaftlern gibt er die Zeitschrift "Psychologie und Gesellschaftskritik" heraus (http://pug-online.de). Er praktiziert zen länger als er iaido übt und weist sich selbst dadurch aus, auch im praktischen kumitachi auch physisch gut austeilen und einstecken zu können, selbst wenn Blut fließt.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lieber Herr Kobbé,

vielen Dank für Ihren interessanten Beitrag, der mir geradezu aus der Seele spricht. Den Zwiespalt zwischen Anspruch und Wirklichkeit bemerke ich auch. Er schmerzt mich persönlich allerdings vor allem dadurch, daß der DIaiB für ZNKR-Iai quasi ein Monopol in Deutschland hält. Man kommt an ihm kaum vorbei, will man sich nicht die Möglichkeit nehmen, z.B. irgendwann einmal seine Prüfungen im Ausland abzulegen. So kann man nur hoffen, daß der Verband sich aus sich selbst heraus "heilt", etwa durch einen Generationswechsel in den Schaltpositionen oder Schüler, die bewußt unangenehme Fragen stellen. Einen Schritt in letztere Richtung hat der Verband bereits mit der jüngsten Beitragserhöhung (und ihrer Begründung!!!) unternommen. Wir werden sehen, wie es weitergeht.
Mit freunlichen Grüßen

H.N.

Herr Bambusregen hat gesagt…

Lieber oder liebe H.N.,

vielen Dank für Ihre Zeilen. Ich war so frei, in meiner Funktion als Betreiber dieser Seite, Ihren Kommentar per Email an Herrn Kobbé weiter zu leiten.

Mit freundlichen Grüßen,
Lars Baumann

Anonym hat gesagt…

Ein japanisches Sprichwort sagt. Freiheit bedeutet, selber wählen zu können wessen Sklave man sein möchte! Zum Glück gibt es noch Gruppen in Deutschland die nicht nur, wie in dem sehr klaren Bericht zu lesen ist, sich so orientieren.

Danke für diese Betrachtung.